ANDREAS SIEMONEIT

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Nautisches Lexikon - Radeffekt

Der Effekt als solcher

Als Radeffekt bezeichnet man die Tatsache, daß ein Schiff unter Maschine auch bei Mittschiffsruder eine Drehtendenz aufweist, bei Vorausfahrt meist nur ganz leicht (wenn überhaupt), bei Achterausfahrt meist erheblich bis umwerfend (diese Dominanz bei Achterausmanövern macht das Thema überhaupt nur interessant).

Bei einem linksgängigen Propeller wird das Heck bei Vorausfahrt nach Backbord versetzt, bei Achterausfahrt nach Steuerbord. Da man diesen (an sich störenden und ungewollten) Effekt beim Anlegen gut nutzen kann, indem man beim Aufstoppen das Heck durch einen Schub achteraus steuerbords an den Steg zieht, spricht man in diesem Fall von der Steuerbordseite als Schokoladenseite fürs Anlegen.
Bei einem rechtsgängigen Propeller (bei Motorschiffen die Regel) ist alles genau andersherum. Schiffe mit zwei (gegenläufigen) Propellern besitzen in der Regel deutlich weniger Radeffekt, da sich die Effekte teilweise aufheben. Ganz tun sie's anscheinend (wie auch ich zunächst dachte) doch nicht.

Auffällig am Radeffekt ist, daß er von Schiff zu Schiff außerordentlich unterschiedlich stark ausgeprägt ist. Schon hier wird deutlich, daß es was mit der Rumpfform zu tun haben muß und kein reiner Propellereffekt sein kann. Grundsätzlich gilt, daß ein Propeller auf einer schräg nach unten geführten Welle (der also bei Rückwärtsfahrt das Wasser schräg nach oben gegen den Rumpf strahlt) einen starken Radeffekt verursacht, außerdem hängt es vom Abstand Propeller-Rumpf und der Rumpfform ab. Der Name Radeffekt leitet sich von der (falschen!) Vorstellung ab, der Propeller laufe wie ein Wagenrad mit dem unteren Rand auf dem Grunde. Das ist eine prima Merkregel, um sich aus der Drehrichtung des Propellers die Wirkrichtung des Radeffektes zu erklären, aber es ist keine Erklärung.

Die genaue Erklärung des Radeffektes ist ziemlich kompliziert -- wenn es einfach wäre, würden sich die ganzen mystischen Erklärungen nicht halten können. Um es kurz und knapp zu sagen: Der Radeffekt resultiert aus der Tatsache, daß der Propeller das Wasser nicht nur geradlinig beschleunigt, sondern dem Wasser aufgrund seiner schräggestellten Flügel auch einen Drehimpuls (Drall) erteilt. Anschaulich könnte man sagen, daß die vom Propeller beschleunigte "Wassersäule" rotiert. Damit strömt das Wasser nicht nur vor und zurück, sondern auch quer zum Boot und nimmt es seitlich mit.

In allem Folgenden wird ein linksgängiger Propeller betrachtet, wie er auf Yachten in der Regel angetroffen wird. Ein linksgängiger Propeller dreht bei Vorausfahrt von hinten gesehen gegen den Uhrzeigersinn. Meine Quelle für diese Ausführungen ist das Kapitel K: "Steuerwirkung von Propellern" von Prof. Dr.-Ing. S. D. Sharma, in: Handbuch der Werften, Band 18, Seite 103ff.. Hrsg. Dr. K. Wendel, Schiffahrts-Verlag "HANSA", erschienen ca. 1985.

Radeffekt in Vorausfahrt (linksgängiger Propeller)

Für die Schiffstechniker gibt es gar nicht DEN Radeffekt, sie definieren wenigstens vier miteinander konkurrierende Effekte dieser Art, zwei direkte (pure Propellereffekte, die auch bei einem "nackten" Propeller existieren) und zwei indirekte (die nur in Verbindung mit Rumpf oder Ruderblatt existieren).
  1. Direkte Steuerwirkung infolge der vom Propeller erzeugten Querkraft
    Der sogenannte Nachstrom -- also die Strömung hinter dem Propeller (gewissermaßen das Kielwasser) -- ist im oberen Teil des Propellers stärker als im unteren Teil (oben näher an der Wasseroberfläche, folglich geringerer Umgebungswiderstand). Dies bewirkt im oberen Teil des Propellerumlaufs (12-Uhr-Stellung, immer von hinten gesehen) stärkeren Schub, auch seitlich (Wasser wird nach Backbord gedrückt), so daß eine seitliche Nettowirkung verbleibt, die das Heck nach Steuerbord versetzt.
  2. Direkte Steuerwirkung infolge der vom Propeller erzeugten Schubexzentrizität
    Der Nachstrom des Propellers ist nicht nur nach hinten, sondern auch nach oben gerichtet, da das Wasser vom Propeller eher von unten angesaugt wird (weil der Rumpf im Weg ist). Dies erzeugt in der 9-Uhr-Stellung einen stärkeren Schub, in unserem Fall auf der Backbordseite des Propellers. Das Boot dreht insgesamt nach Steuerbord, das Heck also nach Backbord.
  3. Indirekte Steuerwirkung infolge des unsymmetrischen Propellersogs am Rumpf
    Sogenannter Hovgaard-Effekt, nach dem Schiffstechniker Prof. William Hovgaard, der diesen Effekt 1940 erstmals beschrieben hat. Der Propeller saugt Wasser von vorn an und drückt es nach hinten. Dies führt zu einer Strömung entlang des Rumpfes (die sich natürlich mit der normalen Schiffsbewegung überlagert). Diese Strömung ist allerdings wegen des Effektes Nr. 2 ebenfalls unsymmetrisch, nämlich auf derjenigen Seite des Rumpfes stärker, wo der Propeller stärkeren Schub entwickelt, in unserem Falle also auf der Backbordseite. Stärkere Strömung bedeutet geringeren Wasserdruck und damit Sog (generelles physikalisches Prinzip), hier nach Backbord, so daß das Heck ebenfalls nach Backbord versetzt wird.
  4. Indirekte Steuerwirkung infolge unsymmetrischen Propellerschubs am Ort des Ruders
    Das Ruderblatt wird ebenfalls von Querströmungen angeströmt, im oberen Bereich von solchen, die aus dem oberen Bereich des Propellers (12-Uhr-Stellung) stammen, im unteren von solchen, die aus der 6-Uhr-Stellung stammen (Effekt Nr. 1). Da diese nicht gleich sind, heben sie sich nicht genau auf. Das Ganze ist aber erheblich von der Ruderform und -größe abhängig, so daß es hier keine einheitliche Richtung gibt. Bei den üblichen Yachtrudern mit nach unten abnehmendem Profil dürfte der Effekt im oberen Teil überwiegen, so daß das nach Backbord gedrückte Wasser das Heck über das Ruderblatt ebenfalls nach Backbord drückt. Aber das muß nicht so sein.

Wohlgemerkt: Wir sind immer noch bei Vorausfahrt. Der Witz an der ganzen Sache ist, daß die Effekte sich teilweise oder ganz wieder aufheben. In welche Richtung der Gesamteffekt wirkt, ist durchaus eine diffizile Geschichte (kleine Differenzen sind immer heikel in dieser Hinsicht) . Prof. Sharma schreibt, daß sich Nr. 1 in der Regel mit Nr. 2 und 3 aufhebt, so daß Nr. 4 die Richtung entscheidet. Tatsächlich gibt es aber auch Schiffe, bei denen der Gesamteffekt genau andersherum ist, so daß bei Vorausfahrt unsere feine Merkregel mit dem auf dem Grund laufenden Rad in die Irre führt.

Es muß noch einmal betont werden, daß es sich bei Vorausfahrt um sehr kleine Effekte handelt. Auf Yachten dürfte es kaum meßbar sein, auf Großschiffen ist der Effekt zwar eher meßbar, aber unbedeutend, da durch eine leichte Ruderlage (wenige Grad) der Effekt völlig neutralisiert werden kann.

Radeffekt in Achterausfahrt (linksgängiger Propeller)

Bei Achterausfahrt sieht die Sache völlig anders aus:
Der Hovgaard-Effekt Nr. 3 überragt alle anderen in ihrer Wirkung deutlich.
 

Die "rotierende Wassersäule" ist vom Propeller rückwärts direkt auf den Rumpf gerichtet, und zwar rotiert die Wassersäule im oberen Teil (von dem der Rumpf direkt getroffen wird) nach Steuerbord (und im unteren Teil der Wassersäule entsprechend nach Backbord). Faktisch haben wir damit eine Querströmung unter dem Rumpf, von Backbord nach Steuerbord.

Der Radeffekt kommt bei Achterausfahrt aus folgenden Gründen so stark zum Tragen:

Große Schiffe verwenden übrigens überwiegend rechtsgängige Propeller. Hier wirkt der Radeffekt bei Maschine achteraus so, daß das Heck nach Backbord versetzt wird, das Schiff also insgesamt nach Steuerbord dreht. Dieser Effekt ist beim Manöver des letzten Augenblicks in aller Regel erwünscht, da er den Kurshalter aus der Kollisionsgefahr herausdreht. Der Radeffekt unterstützt also die KVR ...

Beliebte, aber falsche Erklärungen

Der Radeffekt ist sicherlich eine derjenigen Tatsachen, die am häufigsten falsch erklärt werden, was vielleicht angesichts der komplexen Effekte verzeihlich ist. Bisher habe ich die richtige Erklärung nur in der "Seemannschaft" gefunden, wenn man von der speziellen Fachliteratur mal absieht. Hier noch eine kleine Auswahl von falschen Erklärungen: