ANDREAS SIEMONEIT

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Nautisches Lexikon - Manöver

Zu den klassischen Manövern Wende und Halse ist eigentlich alles schon gesagt, möchte man meinen. Dennoch erlebe ich immer wieder, wie sich Menschen einen Wolf kreuzen oder unkontrollierte Halsen fahren. Insofern können die Dinge wohl nicht oft genug gesagt werden. Und gerade beim Thema Halsen bin ich auf zwei Punkte gestoßen, die für den einen oder anderen wahrscheinlich neu sind:

Punkt 1: Das Rätsel des Verklickers

Nichts anderes als eine Windfahne an Bord, befindet sich der Verklicker in der Regel im Masttopp. Und jeder hat schon mal gehört, daß der Verklicker nur den Scheinbaren Wind anzeigt, der die vektorielle Summe aus dem Wahren Wind und dem Fahrtwind ist. Wobei ich im weiteren statt des unschönen Begriffs "Scheinbarer Wind" den Begriff Bordwind verwenden werde, weil dieser Wind nichts Scheinbares an sich hat, sondern an Bord der einzig reale ist. Es gibt keinen anderen.

Der interessanteste Punkt für Manöver ist der erste. Was bedeutet dieses "stets vorlicher"?

Betrachten wir mal ein Boot, das auf allen Kursen in einer Brise von 10-15 kn konstant mit 5 kn fährt (das stimmt für ein Segelboot nicht ganz, aber genau genug für diesen Zweck). Der Fahrtwind ist also ein halb bis ein drittel so stark wie der Wahre Wind. Die Stärke interessiert aber zunächst nicht so sehr wie die Richtung des Bordwindes, die wir zunächst mal halbquantitativ betrachten (Formeln gibt es weiter unten, alle Winkel gemessen vom Bug). Das ist übrigens etwas, was man ganz prima auch praktisch ausprobieren kann, 4 Bft. mit wenig Welle sind ideal dafür.

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Geht auf einen Kurs hoch am Wind. Das sind etwa 45° zum Wahren Wind (blauer Pfeil). Der Bordwind (Verklicker) fällt vorlicher ein, und zwar unter diesen Bedingungen unter gut 30°. Das entspricht einer Verklickersituation, wo sich das Pfeilende des Verklickers mit einer der beiden festen Verklickermarken deckt, welche einen Winkel von ca. 60° miteinander bilden (siehe nebenstehendes Bild).


Hoch am Wind vor der Wende
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Wendet auf einen Am-Wind-Kurs auf den anderen Bug.
Ergebnis: Ihr habt eine Kursänderung von etwa 90° gemacht, der Bordwind aber nur gut 60°.
Der Bordwind dreht hoch am Wind langsamer als das Schiff.

 

Hoch am Wind nach der Wende
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Fallt ab auf einen Halbwindkurs nach Verklicker (meiner Meinung nach gibt es gar keinen anderen Halbwindkurs als den nach Verklicker. Ein Halbwindkurs nach dem Wahren Wind ist Unfug). Das sind etwa 110° Kurs zum Wahren Wind bei unseren Wind- und Fahrtverhältnissen. Der Bordwind fällt definitionsgemäß unter 90° ein.
Ergebnis: Ihr habt eine Kursänderung von etwa 60° gemacht, der Bordwind ebenso.
Der Bordwind dreht zwischen Am-Wind- und Halbwindkurs genauso schnell wie das Schiff.

 

Halbwind
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Fallt weiter ab auf einen guten Raumschotskurs, also etwa 150° Bordwindeinfall. Aber paßt gut auf, denn zum Wahren Wind seid Ihr jetzt bereits auf einem Kurs von 160° oder so!
Ergebnis: Ihr habt eine Kursänderung von 50° gemacht, der Bordwind von 60°.
Zwischen Halbwind- und Raumschotskurs dreht der Bordwind etwas schneller als das Schiff.

 

Raumschots vor der Halse
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Halst und geht anschließend wieder auf einen guten Raumschotskurs, also etwa 150° Bordwindeinfall auf dem anderen Heckquadranten.
Ergebnis: Ihr habt eine Kursänderung von 40° gemacht, der Bordwind von 60°.
Vor dem Wind dreht der Bordwind deutlich schneller als das Schiff.
Raumschots nach der Halse

Was bedeutet das anschaulich? Drehen wir das Boot mal gedanklich von einem Kurs genau gegenan langsam auf einen Vorwind-Kurs.

Was hat das für Konsequenzen?

Wer das alles quantitativ studieren möchte, findet hier eine Excel-Tabelle zum Herumspielen, mit hübschen Diagrammen (29 kB). Die zugrundeliegende Formel läßt sich mit elementarer Geometrie ableiten: Der Einfachheit halber sei Nordwind, dann ist der Kurs zum Wahren Wind gleich dem rechtweisenden Kurs k (kappa). Der Einfallswinkel des Bordwindes zur Mittschiffsachse sei b (beta):

Kappa: Kurswinkel, Beta: Einfallswinkel Bordwind

Dann ergeben sich die Funktion b(k) und die Stärke des Bordwindes vbordwind als:

Die Formel für den Bordwind

Man kann diese Effekte auch mit einem einfachen Werkzeug studieren: Ein Schiffsrumpf aus einem Brettchen, eine Leiste, drei Schrauben und ein Gummiband ergeben einen mechanischen Vektoraddiator. Das Längenverhältnis AB : BC sollte zwischen 1 : 3 und 1 : 2 liegen.

Der Winkel zwischen Gummi und Mittschiffsachse ist der Einfallswinkel des Bordwindes

Punkt 2: Der Segeldruckpunkt und Luvgierigkeit

Für eine Halse setzt man ja nun nicht von vornherein mit dichtgeholtem Großsegel an, sondern in aller Regel aus einem Raumschotskurs mit weit aufgefiertem Groß. Damit ist der Segeldruckpunkt S weit in Lee, und diese Kraft außerhalb der Mittschiffslinie läßt das Schiff leicht luvgierig werden. Für einen stabilen Raumschotskurs benötigt man also etwas Leeruder, in Richtung Abfallen. So weit kein Problem. Läßt man aber jetzt sein Großsegel für die Halse dichtholen, dann wandert der Segeldruckpunkt S unweigerlich in Richtung Mittschiffslinie, die Luvgierigkeit wird also reduziert bis aufgehoben. Wer nun seine Ruderstellung nicht korrigiert, der beginnt bereits -- oft unbewußt -- mit "Rund achtern":

Konstantes Geradeausfahren, Leeruder und Segeldruck gleichen sich aus       Leeruder überwiegt Segeldruck, die Halse hat begonnen ...

Der Effekt ist nicht dramatisch, soll heißen: Nicht besonders ausgeprägt. Wenn die Halse eh zügig gefahren wird und die Rudergängerin wachsam ist, dann ist das völlig unproblematisch. Wenn der Rudergänger das Manöver aber langsam angeht, wundert er sich, wenn der Baum "plötzlich" übergeht, ohne daß er die Halse eingeleitet hat. Diesen Fall habe ich schon so oft erlebt, daß ich nicht an Unaufmerksamkeit oder Steuerfehler glaube: Bloße Untätigkeit führt hier schon zum Manöver. Und das in einer Situation, wo der "Drehspielraum" ohnehin größer erscheint, als er tatsächlich ist (siehe Punkt 1: Das Rätsel des Verklickers).

Wende

Mitten auf dem Meer kann man die Wende irgendwie fahren, aber auf einer engen Kreuz (Fahrwasser o. ä.) bedeutet jede verpatzte Wende einen immensen Höhenverlust. Der Trick besteht darin, den vortriebslosen Moment so kurz wie möglich zu halten, bis das Vorsegel wieder dichtgeholt ist. Das funktioniert nur, wenn der Großteil der Vorschot zügig von Hand dichtgeholt werden kann. Und das geht wiederum nur, wenn der Rudergänger dafür sorgt. Es ist immer wieder ein Bild des Jammers, wenn das Schiff auf einem Halbwindkurs endet, mit einer weit ausgewehten Genua voll Wind, die schweißtreibend dichtgeholt wird, was bis zur nächsten Wende kaum beendet ist ...

Eine Wende um ca. 100° kann man gedanklich in zwei Teile aufteilen: "Durch den Wind gehen" und "Abfallen auf den neuen Kurs".

  1. Teil: Recht zügig, um nicht zuviel Fahrt zu verlieren und sicher durch den Wind zu kommen. Von der Größenordnung her wird eine halbe Umdrehung am Ruder reichen. Gerade so weit durch den Wind gehen, bis das Vorsegel sicher rüberkommt, d. h. bis das Schothorn am Mast oder ggfs. am Babystag vorbei ist (Vorsegel nur in Ausnahmefällen back stehen lassen). Vorher zu klären: Der Zeitpunkt des Loswerfens der alten Luvschot. Entweder entscheidet der Winscher den Moment selbst, oder der Rudergänger gibt Kommando "Über vorn", das erleichtert die Sache.
  2. Teil: Der Trick besteht darin, die Drehung zu beenden, sobald das Vorsegel sicher durch den Wind ist. Für das Beenden der Drehung das Ruder langsam zurücknehmen (z. B. erst mal eine Vierteldrehung), um den Winschern Gelegenheit zu geben, das meiste der Vorschot von Hand dichtzuholen. Wenn das geschehen ist, dann ist man in der Regel bereits auf den neuen Kurs abgefallen (also nicht weiter abfallen, evtl. vorher Landmarke suchen). Ruder mittschiffs und den (kleinen) Rest der Vorschot mit der Kurbel dichtwinschen.

Solange das Schothorn zwischen dem alten Luvwant und dem Mast oder Babystag ist, darf die Schot nicht gewaltsam geholt werden, diesen Weg macht die Genua alleine. Erst wenn das Schothorn am Mast oder Babystag vorbei ist, darf geholt werden, und auch erst dann verlangsamt man die Drehung.

Das Zusammenspiel an den Winschen muß sehr gut koordiniert werden. Ideal sind zwei Personen: Einer wirft die Schot auf der alten Luvseite los (Winsch ohne Kurbel!) und steht klar bei Schot, um das Ausrauschen zu kontrollieren (keine Kinken etc.). Auch die neue Luvwinsch muß zunächst ohne Kurbel sein! Der andere holt von Hand kräftig dicht, dazu genau zwei Törns auf der Winsch (einer ist zu wenig, drei zuviel). Nur solange ziehen, wie es sinnvoll ist. Sobald die Schot das erste Mal unter der Windlast stockt, verliert man von Hand nur Zeit. Dann auf vier Törns aufstocken und erst jetzt die Kurbel aufstecken und dichtholen (dabei auf den Selftailer verzichten, geht schneller).

Klassische Probleme:

Halse

Bei der Halse erstaunt mich immer wieder, auf wie viele Arten eine klare Abfolge von Manöverschritten durcheinandergebracht werden kann. Und ich sag immer wieder: Leute, lernt das Schema auswendig. Macht aber keiner ... Scheint irgendwie nicht populär zu sein.

Eine sichere Halse führt von einem Raumschotskurs auf den anderen. Ggfs. wechselt man bei viel Wind oder viel Welle erst von einem Vorwindkurs zurück auf einen klaren Raumschotskurs, anstatt das Risiko einer Bruchhalse einzugehen.

Kommandofolge:

Klassische Probleme:

Fazit

Die beiden Manöverbeschreibungen sind keine aufregenden Neuigkeiten, aber die beiden herausgearbeiteten Punkte (Verklicker und Segeldruckpunkt/Leeruder) finde ich schon erwähnenswert. Ich bin nach einiger Ausbildungserfahrung davon überzeugt, daß fehlendes Wissen hierüber Anfängern, die das Gefühl noch nicht entwickelt haben, die Sache sehr schwer macht.