ANDREAS SIEMONEIT

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Nautisches Lexikon - Ankermanöver

Ankern ist für viele eine zweischneidige Sache. Einerseits gehört es zum Segeln dazu, und gerade die schönsten Erlebnisse einer Reise verbindet man oft mit einer zauberhaften Ankerbucht. Andererseits ist es aufwendig, geht manchmal schief, muss dann wiederholt werden, und so ganz traut man der Sache dann doch nicht. Auch die traumatischen Erlebnisse einer Reise verbindet man manchmal mit einer Ankerbucht ... Nicht umsonst lautet ein Spruch: "It is far easier to make a passage, than to stay in one place!" Und nicht umsonst entstehen die meisten Schäden an Booten nicht beim Segeln, sondern durch Kontakt mit Land, in welcher Form auch immer.

Hier geht es um Ankermanöver unter Motor. Folgende Punkte sind für mich die wichtigsten dabei:

Kurz gesagt lassen sich meine Erfahrungen so zusammenfassen: Es gibt ein Standardmanöver fürs Ankern, welches einfach und sicher ist, vorausgesetzt es wird sauber durchgeführt. Leider lässt sich dieses Standardmanöver häufig nicht anwenden: Es kommt es zu Komplikationen, die ein Abweichen vom Standardmanöver erforderlich machen, welches darum seinen Namen nicht ganz zu Recht trägt (hängt sehr vom Seegebiet und der Saison ab). Diese Komplikationen sind aber klassifizierbar, und es gibt wiederum Regeln, wie man mit ihnen umgehen kann.

Letztendlich ist Ankern -- wie Segeln überhaupt -- eine Sache, die mit mehr Erfahrung immer besser wird. Man bekommt ein Auge für die Dinge. Die Kunst besteht darin, einen vernünftigen Kompromiss zwischen Nachlässigkeit und Paranoia zu finden. Die meisten von uns sind halt Freizeitsegler, die nicht über die Gnade der jahrelangen Erfahrung verfügen. Grundsätzlich gilt: Nehmt Eure Gefühle und Unsicherheiten ernst. Sie entstehen nicht von ungefähr. Manchmal hilft ein Blick ins Lehrbuch, manchmal eine Diskussion mit der Crew. Betrachtet Ratschläge oder Kritik von anderen Ankerliegern als eine Informationsquelle, aber die wissen es auch nicht immer besser als Ihr selbst und haben manchmal ein abweichendes Eigeninteresse. Die Ratschläge von Fischern oder Hafenmeistern sollte man jedoch immer ernst nehmen. Die kennen in der Regel ihr Geschäft (jahrelange Erfahrung halt).

Wann hält ein Anker?

Ein ordentlicher Anker hält horizontalen Zug gut, vertikalen nicht. Horizontal belastet kann ein Anker ein Vielfaches seines Gewichtes an Haltekraft entwickeln, und um diesen Hauptzweck möglichst gut zu erfüllen (und diverse Nebenzwecke, wie Handlichkeit), wurden die verschiedensten Formen entwickelt, die man in jedem Lehrbuch gut beschrieben findet.

Als Faustformel kann man sagen: Mit jedem Winkelgrad, welches der Ankerschaft aus der Ebene des Meeresgrundes gehoben wird, verliert der Anker etwa 4 Prozent seiner Haltekraft. Bei 5° sind das 20 % Verlust, bei mehr als 25° hält der Anker praktisch nicht mehr. Diese Faustformel habe ich aus verschiedenen Angaben abgeleitet, denen ich im Laufe der Zeit begegnet bin.

Dramatisch wird dieses Thema bei einem Ankerplatz mit steilem Ankergrund. Wenn der Ankergrund vom Anker zum Schiff hin abfällt, dann bedeutet "flach am Grund" nicht mehr "horizontal". Wenn sich der Ankerschaft in der Horizontalen befindet, dann ist er bereits vom Grund abgehoben und in seiner Haltekraft reduziert (siehe unten)!

Ganz interessant fand ich in diesem Zusammenhang folgenden Bericht aus der Berufsschifffahrt: Da wurde gemessen, aus welchen Komponenten sich die gesamte Zugkraft auf den Anker zusammensetzt bei einem Motorschiff (Küstenfrachter) mit Zwillingspropeller, blockierter Welle, Stromstärke 4 kn, Wind 55 kn (also schon ziemlich harte Bedingungen):

Kette, Leine, Trosse ...

Als Verbindung zwischen Anker und Schiff gibt es mehrere Möglichkeiten, die sich in punkto Gewicht, Haltbarkeit, Preis und Handlichkeit sehr stark unterscheiden (und aus diesen Gründen auch mal so und mal so angetroffen werden, je nach den Prioriäten des Eigners):

Ankerkette ist auf jeden Fall das Material der Wahl. Ohne Kette ist ein Anker nur die Hälfte wert! Deshalb haben Anker, die nur eine Trosse besitzen, in der Regel wenigstens einen sogenannten Kettenvorlauf von 5 oder 10 Metern. Die Gründe sind:

Im weiteren gehe ich hier von einer Ankerkette aus, weil man Kette in aller Regel (zumindest ab einer bestimmten Größenordnung von Schiff) vorfindet. Wenn ich mal abweichend eine Ankertrosse meine, sage ich das explizit.

Kettenlänge

WTypischer Ankerkettenverlaufieviel Kette muss man "stecken"? Ein beliebtes Streit- und Diskussionsthema unter Seglern. Der Verlauf der Kette unter Wasser soll immer eine typische Form entwickeln: Möglichst steil vom Bug abwärts, möglich flach am Grund ankommend, am besten dann noch eine Weile am Grund flach verlaufend (siehe Bild). Diese Form gewährleistet, dass der Zug auf den Ankerschaft parallel zum Grund erfolgt.

Auch hier habe ich für mich eine Faustformel entwickelt, mit der ich mich bei gutem und mittlerem Ankergrund auf der sicheren Seite fühle, sofern eine physische oder geistige Abwesenheit (Schlaf) vom Schiff geplant ist. Wer bei einem kurzen Lunch-Stopp anwesend und wach ist, zumal bei Tageslicht, kann das natürlich alles etwas gelassener angehen. Die Faustformel lautet:

Diese Faustformel sollte nach unten nicht durch die beiden folgenden Werte unterschritten werden:

Wie jede Faustformel benötigt auch diese noch einige Nebenbemerkungen:

Der Ankerplatz

Dnkerplätze sind nicht leicht zu finden. Das Standardmanöver erfordert im Idealfall eine leere, große, gut geschützte Ankerbucht mit gutem Haltegrund und angemessen niedriger Wassertiefe, brauchbaren Objekten für eine Deckpeilung ... sollte eigentlich nicht schwer zu finden sein, oder? Die Realität sieht leider anders aus. Meist verfügt man über einen Revierführer, der einem Hinweise auf die Qualität von Ankerplätzen gibt. Dennoch kann es sich lohnen, parallel dazu den eigenen Verstand zu gebrauchen.

Auswahl grob

Auswahl fein

Mooring oder Anker?

Manchmal hat man die Wahl zwischen ausgelegten Mooring-Bojen und eigenem Anker. Moorings erhöhen die Kapazität eines Ankerplatzes durch Verdichtung und locken Segler durch Vereinfachung. Beides ist im Interesse derer, die am lokalen Tourismus verdienen. Mit eigenem Anker hat man in einem Mooringfeld meist keine Chance, weil schlicht kein Platz mehr dafür da ist. Dann kann man nur die Mooring wählen oder Abstand vom Mooringfeld halten. Wenn beides nicht geht, hat man Pech gehabt. Manchmal kann man zu zweit an einer Mooring im Päckchen liegen. Das ist technisch einfach, allerdings sollte man die Mooring nicht überlasten.

Die Haltbarkeit von solchen Arrangements ist kritisch zu hinterfragen. Auch Moorings rotten oder sind schon luschig verlegt. Bei normalem Wetter sollte das kein Problem sein, aber bei Sturm könnte es sein, dass Euer eigenes Geschirr verlässlicher ist.

Das Standardmanöver

Das Standardmanöver läuft kurz gesagt darauf hinaus, den Anker exakt an der gewählten Stelle auf den Grund zu bringen (dies ist nicht der Punkt, an dem das Schiff später liegt) und von diesem Punkt aus die Kette sauber wie eine Perlenschnur auszulegen, ohne Kettenhaufen und -verwicklungen. Nur dann hat man eine Chance, am Ende den gewählten Wunsch-Liegeort des Schiffes zu erreichen. Der Anker macht seine Arbeit nicht von allein, er braucht dazu unsere Hilfe.

Der Einfluss des Ankergrundverlaufs

In allen Lehrbüchern ist der Ankergrund immer schön waagerecht gezeichnet, der Anker gräbt sich brav ein, alles ist gut. Die Realität ist nicht immer so schön: Ob der Ankergrund waagerecht verläuft oder nicht, hat einen dramatischen Einfluß auf die Haltekraft des Ankers. Schauen wir uns mal an, was im Extremfall passiert, wenn bei starkem Wind das Schiff die Ankerkette völlig straff zieht (die genannten Winkel sind beispielhaft zu verstehen).
 
  • Straffe Ankerkette bei waagerechtem MeeresgrundWaagerecht verlaufender Meeresgrund:
    Der Ankerschaft wird aus der Ebene des Meeresgrundes herausgehoben. Der Winkel hängt von der Wassertiefe und Kettenlänge ab und wird möglicherweise so groß, daß der Anker nicht mehr hält.
 
  • Straffe Ankerkette bei abfallendem MeeresgrundAchtung!Meeresgrund fällt zum Boot ab: Der Anker liegt in flacherem Wasser als das Schiff.
    Der Ankerschaft wird aus der Ebene des Meeresgrundes herausgehoben, aber in einem viel größeren Winkel, da der Meeresgrund ja schon eine "Grundschräge" besitzt! Der Anker hält also noch schlechter, oder anders gesprochen: Der kritische Winkel von Fall a) wird bereits bei einer viel geringeren Zugkraft erreicht!
 
  • Straffe Ankerkette bei ansteigendem MeeresgrundMeeresgrund steigt zum Boot an: Der Anker liegt in tieferem Wasser als das Schiff.
    Egal wie stark das Schiff zieht: Der Ankerschaft kann gar nicht aus der Ebene des Meeresgrundes herausgehoben werden, da die "Grundschräge" des Meeresbodens in diesem Fall für uns arbeitet! Der Anker hält perfekt, selbst bei widrigsten Bedingungen.

Das bedeutet z. B., 

Ankern mit Bug- oder Heckleinen

Mischform aus Ankern und Festmachen, beliebte Option immer dann, wenn das Ufer steil genug abfällt: Buganker in die Bucht und Heckleinen zum Land oder Heckanker in die Bucht und Bugleinen zum Land. Letzteres funktioniert meist besser, da dann das Ruderblatt fern vom Ufer ist und der Bug (der kaum Tiefgang hat) sogar bis ganz an den Felsen gefahren werden kann, so dass man trockenen Fusses an Land klettern kann. Insbesondere in Schweden, wo sich die Schären steil aus dem meist sandigen Buchtuntergrund erheben, ankern fast alle so, das "freie" Ankern ist dort vergleichsweise unpopulär.

Rund um das Mittelmeer sind die Häfen prinzipiell auf diese Form des Ankerns ausgelegt (Buganker und Heckleinen, "römisch-katholisch"). Dieses Manöver ist aber nicht ganz einfach, da man a) rückwärts vom Buganker wegfährt und b) sich ohne Schrammen zwischen andere Ankerlieger schieben muss. Das beschreibe ich hier nicht, weil ich damit selbst zu wenig Erfahrung habe.

Mit einem Heckanker ist das Manöver relativ einfach, weil man vorwärts fährt und normale Fahrt und Steuerwirkung hat: Auf das Ufer zutuckern und in einer geeigneten Entfernung den Anker über Bord geben. Achtung: Distanzen kritisch schätzen! Man kann bei diesem Manöver keine Kette nachstecken! Deshalb lieber etwas früher den Anker werfen. Weitertuckern und dabei Kette stecken. Am Ufer dann durch Festhalten der Kette aufstoppen und jemanden mit Leinen über den Bugkorb an Land gehen lassen.

Besondere Bemerkungen:

Diese Kombinationen von Leinen und Anker sind jedoch nur bei leichtem und mittlerem Wind empfehlenswert, da das Schiff "seitlich verwundbar" ist: Es kann seitlichem Winddruck nicht ausweichen, und die Last auf Leinen und Anker ist dann wegen des ungünstigen Hebels erheblich grösser. Daher Vorsicht bei angesagtem Starkwind oder Gewittern!

Weiter geht es bei Anker-Komplikationen.