ANDREAS SIEMONEIT

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Nautisches Lexikon - Anker-Komplikationen

Dies ist die Fortsetzung von Ankermanövern.

Übersicht

Leider gibt es eine ganze Reihe von Komplikationen, die den glatten Ablauf des Standardmanövers verhindern und uns zu Zusatzmaßnahmen oder Ablaufänderungen zwingen. Das ist fast eher die Regel als die Ausnahme. Zudem können die Komplikationen kombiniert auftreten (mein größtes Ankerdesaster bisher hatte ich in einer engen Bucht mit relativ steil ansteigendem Grund).

Die Komplikationen lassen sich klassifizieren:

Die möglichen Gegenmaßnahmen für die genannten Komplikationen lassen sich ebenfalls klassifizieren. Da sind zum einen die, die eher in der Planungs- und Entscheidungsphase zum Tragen kommen:

Und dann die Gegenmaßnahmen, die zusätzliche Maßnahmen am gewählten Ankerplatz beinhalten. Um die geht es hier. Einige benötigen als Voraussetzung einen weiteren Anker an Bord (was bei Charteryachten durchaus nicht selbstverständlich ist):

Die Gegenmaßnahmen im Einzelnen:

Schwojkreis begrenzen

Schwojen -- also das Kreisen des Schiffes um den Anker, wobei der Bug mehr oder weniger in den (sich drehenden) Wind zeigt -- ist gut und richtig, denn ein Schiff, das mit dem Bug in den Wind zeigt, belastet seinen Anker am wenigsten. Leider wird der potentielle Schwojkreis um so größer, je mehr Kette gesteckt und je stärker der Wind ist. Wenn man wenig Platz hat, muss man den Schwojkreis begrenzen, entweder durch ein Reitgewicht (siehe unten) oder durch "Vermuren" (einen zweiten Anker, der in diesem Fall allerdings nicht die Haltekraft verbessert) -- oder einfach nur, indem man seinen Anker als Heckanker ausbringt (Tipp von Georg Schlomka, vielen Dank): Heck voraus liegen die Schiffe weitaus richtungsstabiler, speziell Langkieler.

Zum Vermuren legt man zwei Anker an zwei Ketten/Leinen aus, beide über das Buggeschirr, aber in entgegengesetzte Richtungen:

Der theoretische Minimalradius des Schwojkreises ist gleich der Schiffslänge, praktisch ist er natürlich größer. Aber in jedem Falle ist er deutlich verkleinert. Das Ausbringen des zweiten Ankers kann ein Problem werden, wenn die Kettenlängen knapp bemessen sind. Dann muss man möglicherweise das Beiboot bemühen. Ansonsten steckt man einfach beim ersten Anker die doppelte Kettenlänge, lässt den zweiten Anker fallen und verholt sich dann wieder in Richtung erster Anker.

Probleme:

Schwojen verhindern

In einer sehr engen Situation kann man das Schwojen ganz verhindern, indem man das Schiff zwischen zwei Leinen "aufspannt", also den Buganker als Buganker verwendet und den Heckanker als Heckanker. Oder aber ein Anker plus eine Leine zum Land. Kritisch sind dabei die unter Ankern mit Bug- oder Heckleinen genannten Punkte.

In britischen Flussrevieren mit Gezeiten (wechselnde Stromrichtung) findet dieses Verfahren für feste Liegeplätze als "Mooring between piles" Anwendung: Zwei Holzpfähle (piles) werden in den Boden gerammt und mit "Gleitstangen" versehen, an denen die Festmacher im wechselnden Wasserstand nach oben und unten gleiten können. Das Schiff wird längs zwischen diese Pfähle gelegt. Vorteil: Wenig Aufwand beim Errichten, platzsparend. Nachteil: Kein Landgang ohne Beiboot. Heute, in den etwas wohlhabenderen Zeiten, tendiert man auch dort zu Schwimmstegen.

Lage des Bootes zum Wind fixieren

Bei viel Wind (Sturm) bewegt sich ein üblicher Kurzkieler vor Anker in einem bestimmten Rhythmus:
Anstatt immer geradlinig in der Verlängerung der Ankerkette zu liegen, "tanzt" das Schiff hin und her. Das hat mehrere kombinierte Ursachen:

Damit ergibt sich folgendes Muster:

Unangenehm sind neben dem abwechselnden Krängen des Schiffes, welches das Leben an Bord erschwert, auch die Momente großer Belastung der Ankerkette. Eigentlich möchte man lieber einen stetigen Zug auf die Kette haben. Und mit einer zusätzlichen Leine am Heck kann man das auch erreichen:

Diese Leine wird mit einem großen Stopperstek auf die Ankerkette gelegt und dann auf die Heckklampe (oder eine Winsch) geführt. Die Entfernungen und Winkel muss man je nach Schiff ausprobieren. Man blockiert auf diese Weise das "Drehgelenk" der Ankerkette am Bugkorb, indem man ein geometrisch stabiles Dreieck aus Ankerkette, Schiffslänge und Leine konstruiert, oder anders gesprochen: Über diese Hahnepot wird das Schiff an zwei Punkten "am Anker aufgehängt", und zwar in einer Lage, die nur das Abfallen nach einer Seite ermöglicht. Dazu kommt es aber gar nicht, die Lage ist stabil: Das Abfallen wird von der eigentlichen Ankerkette verhindert, das Anluven von der Leine. Unangenehm kann es werden, wenn die Situation so unruhig ist, dass das Schiff doch mal auf die andere Seite übergeht. Dann passt es mit dem ganzen Tauwerk gar nicht mehr. Diese Maßnahme würde ich z. B. nicht ergreifen, wenn ich von Bord gehen will. Alternative: Die Heckleine durch einen ausgebrachten Zweitanker ersetzen, also das Schiff tatsächlich "seitlich zum Wind an zwei Ankern fixieren".

Eine andere Alternative hat mir Rolf Jüngermann geschickt (vielen Dank dafür): Im achterlichen Bereich des Schiffes eine größere Fläche "wie ein Segel" (parallel zur Mittschiffslinie) aufspannen, also ein bis zwei Quadratmeter Tuch beispielsweise am Achterstag setzen (oder am Besanmast, wenn man denn einen hat). Diese "Windfahne" stabilisiert ebenfalls die Lage zum Wind:

Anker entlasten: Reitgewicht

Ein technisch einfaches Manöver, das allerdings häufig an fehlendem Material scheitert, denn man benötigt einen großen "Masseklumpen", der noch handhabbar sein muss. Die Idee ist, an einem Punkt der gesteckten Ankerleine (grob gesagt in der Mitte zwischen Anker und Buggeschirr) ein großes Gewicht an die Kette zu hängen, welches die Kette an diesem Punkt auf den Grund zieht. Dieses Gewicht lässt man aus praktischen Gründen häufig erst nach dem vollendeten Ankermanöver an der gesteckten Kette nach unten gleiten wie eine Seilbahngondel ins Tal.

Der Effekt ist in etwa derselbe, als wenn man eine viel dickere Ankerkette verwenden würde: Bevor die Zugkraft des Bootes auf den Anker wirken kann, muss sie erst mal das Reitgewicht vom Grund anheben, und auch dann läuft die Kette immer noch in einem flacheren Winkel vom Anker weg als ohne Gewicht. Für diese Zweck gibt es extra Geschirre, die natürlich nie jemand an Bord hat, zumal an Bord einer Charteryacht. Die Aufhängung kann man selbst improvisieren, das Problem ist eher das geeignete Gewicht. Dabei muss man auch noch den Auftrieb berücksichtigen: Wasserflaschen oder Konserven sind zwar schwer zu schleppen, eingetaucht in Wasser wiegen sie aber kaum noch etwas. Am besten sind Blei oder Stahl, akzeptabel Steine oder Sand, also z. B.:

Praktisch kann es sehr schwierig sein, einen Felsbrocken so mit Tau zu umwickeln, dass er sich nicht aus der Verschnürung rausarbeitet oder rausrutscht. Am besten wäre ein starkes Netz. Schon aus diesem Grund ist der Zweitanker ein ganz gutes Reitgewicht, denn er hat eine Aufhängung. Er steht dann allerdings nicht mehr für die Maßnahme "Anzahl der Anker erhöhen" zur Verfügung, wo er vielleicht einen besseren Dienst leisten könnte.

Dieses Reitgewicht muss über eine großzügig dimensionierte "Öse" auf der Kette zum Meeresgrund gleiten können, geführt von einem zusätzlichen Tau:

Wenn man das Gefühl hat, dass das Reitgewicht zu nah am Buggeschirr und zu weit weg vom Anker zu liegen kommt, dann muss man die Ankerkette zunächst verkürzen, das Reitgewicht weiter vorrutschen lassen und anschließend wieder Kette stecken.

Anker entlasten: Anzahl der Anker erhöhen

Die Idee ist, die auf das Boot wirkende Kraft gleichzeitig auf zwei Anker zu verteilen, die an verschiedenen Stellen des Grundes, aber beide in Windrichtung liegen. Das kann über einunddieselbe oder zwei Ankerketten erfolgen. Die Ausführung des Manövers wird wesentlich dadurch bestimmt, wie viel Raum man am Ankerplatz hat.
  1. Man macht "ein zweites Ankermanöver" und bringt den zweiten Anker V-förmig genauso weit wie den ersten Anker aus. V-förmig deshalb, damit sich die beiden Anker nicht behindern.
  2. Alternativ bringt man beide Anker in gleicher Linie aus, aber den zweiten an kürzerer Kette, so dass sie sich ebenfalls nicht behindern.
  3. Bei Kettenmangel kann man den Zweitanker auch in die Kette des ersten Ankers mit einhängen. Ich würde dem aber in der Regel die 2. Variante mit einer Leine vorziehen.

Anker entlasten: Weitere Maßnahmen

Fantasie ist auch im Notfall gefragt.
Kompetenz zeichnet sich ja gerade auch durch das Beschreiten neuer Wege aus.
Zwei Anregungen hierzu:

Zusätzliche Leine an Land

Wenn die räumlichen Umstände günstig sind und man noch eine Chance hat, ohne Lebensgefahr mit dem Dinghi an Land zu kommen, dann kann man den Anker auch dadurch entlasten, dass man eine lange Leine zum Ufer ausbringt und dort an einem Baum oder irgendeinem anderen geeigneten Gegenstand "ankert" -- und sei es nur als Rückfalloption, falls der Anker nicht hält.

Gegenan dieseln

Falls man kein Treibstoff- und auch kein Crewproblem hat, dann kann man einen Schichtbetrieb am Ruder aufnehmen und mit wenig Gas in Richtung Anker dieseln und ihn so entlasten.

Ankerwache

Leichter gesagt als getan.
Eine (nächtliche) Ankerwache hat so viele Nachteile, dass sie ein Notfallmanöver bleiben muss und vorher alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft werden sollten.

Eine brauchbare Alternative kann sein, in regelmäßigen Zeitabständen nach der Lage zu schauen und dazwischen zu schlafen. Diese Zeitpunkte sollten sinnvoll gewählt sein, in einem Gezeitenrevier z. B. das Kentern des Stromes oder bei erwartetem Frontdurchgang der hierfür erwartete Zeitpunkt.

Besser also, wenn man sich auf seinen Anker verlassen kann. Mein Standpunkt: Lieber zwei Stunden lang Ankermanöver bis zum Erfolg fahren, als Ankerwache zu halten. Dabei ist auch der Lerneffekt höher.

Flucht aus der Ankerbucht

Genügend Fälle sind bekannt, wo Ankerbuchten auf einmal zur gefährlichen Falle geworden sind. Die Ursachen können vielfältig sein. Man kann dann seinen Handlungsspielraum bewahren, indem man sich -- möglichst noch bei Tageslicht -- ein genaues Bild der Geografie der Bucht macht, Landmarken für die Ausfahrt notiert und kritisch überlegt, ob das auch im Dunkeln ein gangbarer Weg ist.

Trippleine verwenden

T rippleinen (engl. tripping line) sind ein "Notausgang" aus einem missglückten Manöver, bei dem der Anker am Grund festgekommen ist. Die Form fast aller Anker prädestiniert sie leider dazu, sich mit einer Flunke oder der Pflugschar unter irgendeinem Gegenstand zu verhaken. Die Lösung wäre, "den Anker rückwärts zu bewegen", aber leider kann die Ankerkette nur in eine Richtung ziehen, nämlich noch tiefer ins Verderben.

Die Trippleine ermöglicht diese Rückwärtsbewegung des Ankers, indem sie gegenüber der Ankerkette an der Krone angebracht ist. Häufig ist es ausreichend, die Ankerkette zu entlasten und statt dessen an der Trippleine zu ziehen, um den Anker "kentern zu lassen" und kopfüber zu bergen. Dazu muss die Trippleine recht kräftig sein, ein dünnes Bändsel reicht da nicht. Sie sollte NICHT schwimmfähig sein, um nicht über längere Strecken an der Wasseroberfläche zu schwimmen, wo sie leicht einem Motorboot zum Opfer fallen kann (oder umgekehrt ein Motorboot ihr zum Opfer fallen kann).

Eine Trippleine ist lästig. Um von ihr zu profitieren, muss sie beim Ankermanöver immer auf Verdacht mit ausgebracht werden. Um ihr freies Ende packen zu können, muss sie entweder zum Schiff zurückgeführt sein, oder aber man lässt sie in einer kleinen Ankerboje enden. Einen sehr hübschen Trick hat mir W. Jürgen Hardt zugeschickt (herzlichen Dank): Man lässt die Trippleine parallel zur Ankerkette ausrauschen, und wenn sie (z. B. nach 20 Metern) zuende ist, dann knotet man sie in ein gerade passendes Kettenglied, sichert also sozusagen das Trippleinen-Ende an der Ankerkette selbst. Denn egal wie unklar der Anker kommt: Bis zu dem Punkt, wo das Trippleinen-Ende eingeknotet ist, kann man die Kette immer aufholen. Dort löst man dann seine Trippleine und kann ganz normal über sie verfügen

Das mit der Ankerboje ist der bei weitem elegantere Weg, denn damit verhindert man mehrere Probleme:

Ankerbojen wiederum haben andere Ärgernisse: