ANDREAS SIEMONEIT

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Nautisches Lexikon - KVR-Begriffe

Die Grundbegriffe der Kollisionsverhütungsregeln KVR stellen das Fundament dar, auf dem alles ruht, insbesondere auch die Ausweichregeln. Deshalb muß man genau wissen, was zu den verschiedenen Kategorien gehört und was nicht. Man sieht aber schnell, daß letztendlich alle Grundbegriffe auch ein Stück gesunden Seemannsverstand voraussetzen und im Detail Auslegungssache sind. Aber das ist im Straßenverkehr nicht anders, und aus diesem Grunde gibt es hier wie dort Fachleute an den Gerichten und Seeämtern, die diese Auslegungen im Detail vornehmen.

Fahrzeugbegriffe

Fahrzeug: Umfaßt alle Wasserfahrzeuge einschließlich nicht wasserverdrängende Fahrzeuge (z. B. Luftkissenfahrzeuge) und Wasserflugzeuge, die als Beförderungsmittel auf dem Wasser verwendet werden oder verwendet werden können. Flöße gehören ebenfalls dazu, Segelsurfbretter nach überwiegender Ansicht auch. Die berühmte haarspalterische Frage "Ist eine bemannte Luftmatratze auf der Elbe ein Fahrzeug?" wird man dagegen eher mit Nein beantworten, da sie als Beförderungsmittel im Grunde genommen nicht taugt. Aber das ist natürlich Auslegungssache ...

Länge und Breite eines Fahrzeug: bedeutet die Länge über alles und die größte Breite.

Maschinenfahrzeug: Fahrzeug mit Maschinenantrieb, unabhängig davon, ob dieser genutzt wird oder nicht. Es reicht die potentielle Verfügbarkeit.

Segelfahrzeug: Fahrzeug unter Segel, dessen Maschinenantrieb, falls vorhanden, nicht benutzt wird. Dem Segler "schadet" also sein potentieller Maschinenantrieb ausweichmäßig nicht, allerdings können auch Segler unter bestimmten Umständen (verminderte Sicht) verpflichtet sein, die Spielerei mit den weißen Tüchern aus Sicherheitsgründen aufzugeben und auf die flexiblere Maschine zurückzugreifen, sofern vorhanden.

Manövrierbehindertes Fahrzeug: Fahrzeug, das durch die Art des Einsatzes nicht so manövrieren kann, wie es die Regeln vorschreiben, z. B. Tonnenleger, Kabelleger, Rohrleitungsleger, Bagger, Forschungsschiffe, Vermessungsschiffe, allgemein mit Unterwasserarbeiten beschäftigte Fahrzeuge, mit Versorgungsmanövern beschäftigte Fahrzeuge, mit der Übergabe von Personen, Ausrüstung oder Ladung beschäftigte Fahrzeuge, Flugzeugträger mit startenden oder landenden Flugzeugen, Minenräumer, erheblich behinderte Schleppfahrzeuge.
Analogie: Im Straßenverkehr würde man ein gelbes Rundum-Blinklicht zeigen, wie z. B. Sattelschlepper, Kräne, Straßenreinigungsfahrzeuge.

Manövrierunfähiges Fahrzeug: Fahrzeug, das wegen außergewöhnlicher Umstände nicht so manövrieren kann, wie es die Regeln vorschreiben. Ruderbruch, Maschinenausfall oder ein Mann-über-Bord-Manöver zählen sicherlich dazu. Flaute bei einem Segelschiff jedoch nicht, da Windstille nichts Außergewöhnliches ist. Das macht im Zweifel die Situation für den Skipper im Fahrwasser nicht angenehmer, findet er die Situation doch auch so schon schwierig genug.
Analogie: Im Straßenverkehr würde man die Warnblinkanlage einschalten, wie bei einer Panne oder nach einem Unfall.

Fischendes Fahrzeug: Fahrzeug, das fischt und daher in der Manövrierfähigkeit eingeschränkt ist. Wenn der Fischer trotz Fischens ohne Einschränkungen manövrieren kann, ist er kein fischendes Fahrzeug im Sinne der KVR.
Genauer: Fischer ist ein Fahrzeug, das mit Netzen, Leinen, Schleppnetzen oder anderen Fanggeräten fischt, welche die Maövrierfähigkeit einschränken, jedoch nicht ein Fahrzeug, das mit Schleppangeln oder anderen Fanggeräten fischt, welche die Manövrierfähigkeit nicht einschränken. So steht es jedenfalls im Gesetzestext. Ihr könnt ja dann mit dem Fischer (und dem Seeamt) nach der Kollision diskutieren, ob die Manövrierfähigkeit eingeschränkt war oder nicht ...
Analogie: Keine Analogie im Straßenverkehr ...

Tiefgangbehindertes Fahrzeug: Maschinenfahrzeug, das durch seinen Tiefgang im Verhältnis zur vorhandenen Tiefe und Breite des Gewässers erheblich behindert ist, von seinem zu verfolgenden Kurs abzuweichen.
Anmerkung: Sobald ein nach KVR tiefgangbehindertes Fahrzeug ins deutsche Küstenmeer einläuft, verliert es seine Eigenschaft als "tiefgangbehindert" und gilt statt dessen als "Wegerechtschiff" (§ 2 Abs. 1 Ziffer 13 SeeSchStrO), das automatisch als manövrierbehindert einzustufen ist. Im deutschen Küstenmeer begegnet man also nie einem tiefgangbehinderten Schiff ...

überholendes Fahrzeug: Ein Fahrzeug, das sich einem anderen aus einer Richtung von mehr als 22,5° achterlicher als querab nähert und daher gegenüber dem zu überholenden Fahrzeug so steht, daß es bei Nacht nur dessen Hecklicht, aber keines der Seitenlichter erkennen kann. Diese Definition beinhaltet mit dem Hecklicht einen Passus, der auch bei sehr langen Schiffen klarstellt, von welchem Punkt aus der Kreis zu ziehen ist, an welchem gemessen wird, was 22,5° achterlicher als querab bedeutet, nämlich vom Punkt des Hecklichtes aus.

Fahrtbegriffe

In Fahrt: bedeutet, daß ein Fahrzeug weder vor Anker liegt noch an Land festgemacht ist noch auf Grund sitzt. Es bedeutet nicht, daß es tatsächlich Fahrt durchs Wasser macht, sondern nur, daß es potentiell dazu in der Lage (durch nichts gehindert) ist. Und natürlich, daß es bei Strom mit der Strömung Fahrt über Grund macht.

mit Fahrt durchs Wasser: ein Fahrzeug in Fahrt, das sich darüber hinaus relativ zum Wasser bewegt (Fahrt durchs Wasser macht). Die KVR nehmen nur in einigen wenigen Paragrafen explizit auf diesen Begriff Bezug, denn an sich wird kein Unterschied zwischen "in Fahrt" und "mit Fahrt durchs Wasser" gemacht. An diesen Stellen aber doch:

Sichtbegriffe

Am Tage / bei Nacht: Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang bzw. umgekehrt.
Da Sonnenaufgang und Sonnenuntergang astronomisch auf die Sekunde genau definiert werden können, ist das keine Auslegungssache, sondern im Nautischen Jahrbuch nachzuschlagen.

in Sicht befindlich: Fahrzeuge gelten nur dann als in Sicht befindlich, wenn jedes vom anderen optisch wahrgenommen werden kann.

Verminderte Sicht: Jegliche Sichteinschränkung durch Nebel, dickes Wetter, Schneefall, heftige Regengüsse, Sandstürme oder ähnliche Umstände.