ANDREAS SIEMONEIT

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Nautisches Lexikon - Scheinwesen

Übersicht

Zunächst ein paar Begriffsklärungen: Man unterscheidet amtliche Führerscheine und amtliche oder nichtamtliche Befähigungsnachweise. Amtliche Führerscheine werden vom Bundesverkehrsministerium oder regionalen Behörden ausgestellt, tragen den Bundesadler und sind durch Gesetze und Verordnungen fein säuberlich reglementiert. Sie sind in den jeweiligen Fahrtgebieten gesetzlich vorgeschrieben. Befähigungsnachweise hingegen sind grundsätzlich freiwillig und werden von offiziellen Stellen oder privaten Organisationen ausgestellt, die ihre Prüfungsanforderungen selbst festlegen (daß der DSV dies so gründlich-bürokratisch macht wie eine staatliche Behörde, ist eine andere Sache).

Das deutsche Führerscheinwesen (auf dem Wege der Besserung ...)

Früher

Ohne Historie kann man das heutige Führerscheinwesen kaum verstehen, daher fangen wir vor 70 Jahren an.

In den 1930er Jahren führte der Deutsche Seglerverband (DSV) erstmals freiwillige Befähigungsnachweise ein (rechte Spalte, aber zunächst nur A, B und C, also Binnen, küstennahes Segeln und Hohe See). Sie verlangten sowohl eine Theorie- als auch eine Praxisprüfung, und vor allem diese Praxisprüfung machte sie zu einem von jeglichen Institutionen gern gesehenen Erfahrungsnachweis. Verbandsintern sind sie sogar vorgeschrieben (Regattateilnahme).

Zum anderen stellten die Staatlichen Schulen für Seefahrt (heute Fachhochschulen für Seefahrt) ebenfalls schon seit den 1930er Jahren freiwillige Zeugnisse aus, nämlich das Sportseeschiffer-Zeugnis und das Sporthochseeschiffer-Zeugnis. Im Niveau entsprachen sie dem BK- und dem C-Schein des DSV, waren also recht anspruchsvoll, erforderten aber keinerlei Praxisprüfung (reine Theorie-Zeugnisse). Der fehlende Praxisnachweis machte sie bei den Seglern beliebt, denn Praxisprüfungen sind aufwendig und teuer, und auf diese Weise konnte man dennoch sein Engagement dokumentieren.

Da es damals kaum Segler ohne Vereinszugehörigkeit gab, hatten auch fast alle die DSV-Scheine oder die Seefahrtschulen-Zeugnisse. Ab den 1960er Jahren befuhren jedoch immer mehr unorganisierte Wassersportler die Gewässer, und der Staat sah Handlungsbedarf für gesetzlich vorgeschriebene Führerscheine für Motorboote. Man konnte ja bisher niemandem verbieten, Sportboot zu fahren. Somit wurde in der Bundesrepublik 1968 der "SpoBo See" für die Küstengewässer eingeführt (linke Spalte). In den Binnenbereich griff der Staat zunächst nicht ein, regional gab es allerdings auch zu dieser Zeit schon lokale amtliche Führerscheine, z. B. wegen hoher Verkehrsdichte in Berlin oder auf dem Bodensee.

Der DSV differenzierte im weiteren sein Scheinsystem (vorwiegend aus Regatta-Gründen) dahingehend, daß zum einen der R-Schein (R = Revier, also geschützte, sehr küstennahe Bereiche) eingeführt wurde, andererseits der B-Schein aufgegliedert wurde in einen einfacheren BR- und einen umfassenden BK-Schein ("Kleine" bzw. "Große Küstenfahrt"). Insbesondere der BR-Schein entwickelte sich zum "Renner", denn er war der einfachste echte Segelschein mit Praxisprüfung für den Küstenbereich, mit einem sehr guten Preis-/Leistungsverhältnis.

1989 wurde staatlicherseits auch der Binnenbereich erfaßt. Wiederum nur für motorisierte Boote wurde der "SpoBo Binnen" eingeführt, und wiederum mit regionalen Abweichungen (z. B. in Berlin auch für Jollen Pflicht). Tausende ließen ihren A-Schein oder ihre regionalen Führerscheine in den "SpoBo Binnen" umschreiben …

Somit gab es also Anfang der 1990er Jahre Papiere von drei verschiedenen Stellen: Vom DSV, vom Bundesverkehrsminister und von den Seefahrtschulen. Viele Scheine überlappten sich anforderungsmäßig, gesetzlich vorgeschrieben waren allerdings nur die amtlichen Sportboot-Führerscheine, alles andere war freiwilliger Erfahrungsnachweis. Mit anderen Worten: Das deutsche Scheinwesen war total unübersichtlich und unlogisch (im Vergleich zu anderen Ländern ist es das heute immer noch ...).

1994 wurde daher gründlich aufgeräumt. Die Zeugnisse der Seefahrtschulen wurden aufgewertet zum Sportseeschifferschein (SSS) bzw. Sporthochseeschifferschein (SHS) und ebenfalls amtlich gemacht, also in die regulatorische Obhut des Bundesverkehrsministeriums genommen. Sie ergänzen die bisherigen amtlichen Sportbootführerscheine inhaltlich nach oben, sind aber freiwillige Befähigungsnachweise. In der "amtlichen Reihe" gab es somit nur noch eine Lücke im Vergleich zu den DSV-Scheinen, nämlich an der Stelle des BR-Scheines. Diese Lücke wurde zum 1.10.1999 mit dem amtlichen, aber freiwilligen Sportküstenschifferschein (SKS) geschlossen.

Die nichtamtlichen, freiwilligen DSV-Scheine sind die großen Verlierer dieser Aufräumaktion. Sie wurden von den amtlichen Scheinen praktisch ersetzt (was nichts daran ändert, daß sie weiterhin gültig sind, die Erfahrung bleibt ja). Der letzte Überlebende war der BR-Schein gewesen, der bis 1999 die Lücke zwischen dem Sportbootführerschein See (der ja keinerlei Segelkenntnisse verlangt) und dem recht anspruchsvollen SSS geschlossen hatte. Der BR-Schein hatte damit die Rolle eines "Einsteigerscheins" ins Seesegeln. Hier gibt es jetzt den SKS, und dieser Schein wird weiterhin obwohl in keiner Weise vorgeschrieben – seine Rolle als bequemer Erfahrungsnachweis für Charterfirmen spielen und der "Renner" unter den Segelscheinen für die Küste bleiben. Er hat von allen diesen Scheinen auch mit Abstand das beste Preis-Leistungs-Verhältnis für den durchschnittlichen Segelalltag.

Den Wassersportverbänden blieb jedoch ein Trost: Der DSV ist vom Bundesverkehrsministerium beauftragt, die Prüfungen für alle amtlichen Segelscheine abzunehmen, was für beide Seiten vorteilhaft ist: Kein Aufwand für das Ministerium, die Prüfungsgebühren gehen an die Prüfer und den DSV, die Kontrolle über das ganze Geschehen liegt ebenfalls beim DSV. Die amtlichen Scheine sind also eigentlich "Mischformen" aus Staat und Wassersportverband.

Aus dieser Historie erklärt sich also das deutsche System mit seinen "Fahrtbereichen" (Kleine Küstenfahrt bis 12 sm, Große Küstenfahrt bis 30 sm etc.).

Heute

Hier noch mal zur Übersicht die Scheine, die heutzutage relevant sind, das sind nur die amtlichen. Der hier erwähnte Begriff "Klasse" ist nicht amtlich, damit will ich nur sagen, dass man diese Scheine jeweils nur für Motorboote, nur für Segelboote oder beides machen kann (je nach Schein verschieden). Die Zettel teilen sich folgendermaßen auf:

a) gesetzlich vorgeschriebene Führerscheine: Im Binnenbereich der Sportbootführerschein Binnen (drei "Klassen"), in den deutschen Küstengewässern der Sportbootführerschein See (eine "Klasse"). "Motor" bezieht sich auf das Führen von motorisierten Sportbooten (mit mehr als 3,68 kW / 5 PS, das gilt auch für Segelboote mit Hilfsmotor). Diese Scheine ähneln also dem Autoführerschein.
Im Binnengebiet darf man mit Segelbooten meist einfach losfahren, sofern sie unmotorisiert sind (oder der Motor aus bleibt), nur regional braucht man bereits zum Segeln den Sportbootführerschein Binnen mit der entsprechenden "Klasse" (z. B. Berlin, Bodensee).
Im Küstenbereich ist der Sportbootführerschein See auch Pflicht, wenn der Motor nicht benutzt wird, aber benutzt werden kann (das ist ähnlich wie bei den Fernsehgebühren: Entscheidend ist, ob man fernsehen kann, nicht ob man es tatsächlich macht).

b) freiwillige Befähigungsnachweise (nur im Seebereich): Sportküstenschifferschein (SKS) mit Theorie- und Praxisprüfung ("Kleine Küstenfahrt"), Sportseeschifferschein (SSS) mit Theorie- und Praxisprüfung ("Große Küstenfahrt") und Sporthochseeschifferschein (SHS) mit Theorieprüfung ("Hohe See"). Alle Scheine gibt es in zwei "Klassen". Unter bestimmten Bedingungen sind auch sie gesetzlich vorgeschrieben (z. B. gewerbliche Ausbildung), ansonsten sind sie lediglich geeignet, einen Prüfungserfolg schriftlich zu dokumentieren -- der berühmte Zettel, den man sich über die Koje hängen kann. Tatsächlich machen nur die wenigsten Vercharterer einen für das Seegebiet geeigneten Schein zur Voraussetzung für eine Charter, schließlich wollen sie ein Geschäft machen. Punkten kann man da vor allem mit Erfahrung. Und ob im Falle eines Unfalls Behörden und Versicherungen eher demjenigen Glauben schenken, der seine Kenntnisse mit einem Schein dokumentieren kann, ist fraglich, vor allem, weil das wenig über die praktischen Fähigkeiten aussagt -- ich habe schon viele hochdekorierte Nieten erlebt, und ebenso hervorragende Segler ohne jeden Schein. Das Seeamt schaut eher, was tatsächlich passiert ist denn vermutlich wissen sie auch, dass zwischen Können und Schein wenig Zusammenhang besteht. Ich finde: Diese Scheine sind zu theorielastig und vernachlässigen den Praxisbezug. Die Praxisprüfungen sind zu schematisch, viel zu kurz, und ich wundere mich immer wieder, mit welchen Lücken man oder frau dabei bestehen kann. Aber zu diesem Punkt kann man natürlich auch anderer Meinung sein.

Und weiterhin gilt: Außerhalb der nationalen Gewässer, also auf Hoher See, ist überhaupt kein Führerschein vorgeschrieben. Was nicht heißt, daß dort jeder fahren darf, wie er will ...

Anderswo

Einige europäische Länder kennen weiterhin keine Führerscheinpflicht, z. B. Großbritannien, Irland und die skandinavischen Länder. Zu weniger Sicherheit führt das nicht, im Gegenteil: Nach einer Studie von 1998 (siehe ein Verbandspapier, Dank an Rolf Schulze für den Link) hat Großbritannien von 30 untersuchten Ländern die mit Abstand niedrigste Unfallquote. Statt Vorschriften führen hier Pragmatismus, ein breiter sozialer Konsens und eine Jahrhunderte alte Seefahrt-Tradition zu einer bestimmten inneren Haltung. Freiwillige Erfahrungsnachweise sind beliebt und weithin anerkannt, und die haben ein etwas anderes Kaliber als DSV-Prüfungen: Die theoretische und praktische Prüfung für den "Coastal Skipper" findet komplett an Bord statt und dauert 6-10 Stunden für einen Kandidaten, 8-14 Stunden für zwei. Und beim "Yachtmaster Offshore" ist ein Kandidat mit dem Prüfer 8-12 Stunden an Bord, zwei Kandidaten 10-18 Stunden