Nautisches Lexikon - Manöver
u den
klassischen Manövern Wende und Halse ist eigentlich alles schon gesagt, möchte man
meinen. Dennoch erlebe ich immer wieder, wie sich Menschen einen Wolf kreuzen oder
unkontrollierte Halsen fahren. Insofern können die Dinge wohl nicht oft genug gesagt
werden. Und gerade beim Thema Halsen bin ich auf zwei Punkte gestoßen, die für den einen
oder anderen wahrscheinlich neu sind: |
- Das Verhalten des Verklickers auf verschiedenen Kursen
- Das Problem des weit aufgefierten Großsegels bei der Halse
ichts
anderes als eine Windfahne an Bord, befindet sich der Verklicker in der Regel im Masttopp.
Und jeder hat schon mal gehört, daß der Verklicker nur den Scheinbaren Wind anzeigt, der
die vektorielle Summe aus dem Wahren Wind und dem Fahrtwind ist. Wobei ich im weiteren
statt des unschönen Begriffs "Scheinbarer Wind" den Begriff Bordwind
verwenden werde, weil dieser Wind nichts Scheinbares an sich hat, sondern an Bord der
einzig reale ist. Es gibt keinen anderen. |
- Der Bordwind fällt auf allen Kursen stets vorlicher ein als der Wahre Wind (außer im
und vor dem Wind).
- Der Bordwind ist auf Kursen am Wind stärker, auf raumen und Vorwindkursen schwächer
als der Wahre Wind. Auf Halbwindkursen entspricht seine Stärke etwa dem Wahren Wind.
- Je stärker der Wahre Wind, desto ähnlicher wird ihm der Bordwind in Stärke und
Richtung, weil der Fahrtwind relativ an Bedeutung verliert.
Der interessanteste Punkt für Manöver ist der erste. Was bedeutet dieses "stets
vorlicher"?
Betrachten wir mal ein Boot, das auf allen Kursen in einer Brise von 10-15 kn konstant
mit 5 kn fährt (das stimmt für ein Segelboot nicht ganz, aber genau genug für diesen
Zweck). Der Fahrtwind ist also ein halb bis ein drittel so stark wie der Wahre Wind. Die
Stärke interessiert aber zunächst nicht so sehr wie die Richtung des Bordwindes,
die wir zunächst mal halbquantitativ betrachten (Formeln gibt es weiter unten, alle
Winkel gemessen vom Bug). Das ist übrigens etwas, was man ganz prima auch praktisch
ausprobieren kann, 4 Bft. mit wenig Welle sind ideal dafür.
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Geht auf einen Kurs hoch am Wind. Das sind etwa 45° zum Wahren Wind
(blauer Pfeil). Der Bordwind (Verklicker) fällt vorlicher ein, und zwar unter diesen
Bedingungen unter gut 30°. Das entspricht einer Verklickersituation, wo sich das
Pfeilende des Verklickers mit einer der beiden festen Verklickermarken deckt, welche einen
Winkel von ca. 60° miteinander bilden (siehe nebenstehendes Bild).
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Wendet auf einen Am-Wind-Kurs auf den anderen Bug.
Ergebnis: Ihr habt eine Kursänderung von etwa 90° gemacht, der Bordwind aber nur gut
60°.
Der Bordwind dreht hoch am Wind langsamer als das Schiff. |
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Fallt ab auf einen Halbwindkurs nach Verklicker (meiner Meinung nach gibt
es gar keinen anderen Halbwindkurs als den nach Verklicker. Ein Halbwindkurs nach dem
Wahren Wind ist Unfug). Das sind etwa 110° Kurs zum Wahren Wind bei unseren Wind- und
Fahrtverhältnissen. Der Bordwind fällt definitionsgemäß unter 90° ein.
Ergebnis: Ihr habt eine Kursänderung von etwa 60° gemacht, der Bordwind ebenso.
Der Bordwind dreht zwischen Am-Wind- und Halbwindkurs genauso schnell wie das
Schiff. |
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Fallt weiter ab auf einen guten Raumschotskurs, also etwa 150°
Bordwindeinfall. Aber paßt gut auf, denn zum Wahren Wind seid Ihr jetzt bereits auf einem
Kurs von 160° oder so!
Ergebnis: Ihr habt eine Kursänderung von 50° gemacht, der Bordwind von 60°.
Zwischen Halbwind- und Raumschotskurs dreht der Bordwind etwas schneller als das
Schiff. |
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Halst und geht anschließend wieder auf einen guten Raumschotskurs, also
etwa 150° Bordwindeinfall auf dem anderen Heckquadranten.
Ergebnis: Ihr habt eine Kursänderung von 40° gemacht, der Bordwind von 60°.
Vor dem Wind dreht der Bordwind deutlich schneller als das Schiff. |
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Was bedeutet das anschaulich? Drehen wir das Boot mal gedanklich von
einem Kurs genau gegenan langsam auf einen Vorwind-Kurs.
- Auf dem "Im-Wind-Kurs" besitzen Bordwind und Wahrer Wind die gleiche Richtung,
unabhängig vom Fahrtwind.
- Wir fallen ab. Das Vorhandensein von Fahrtwind (also eine zusätzliche Windkomponente
von vorn) "hält den Bordwind zurück", auf einen vorlicheren Einfall als den
Wahren Wind, und zwar bereits unmittelbar nach dem Verlassen des Im-Wind-Kurses. Ab diesem
Zeitpunkt "hinkt" der Bordwind dem Wahren Wind hinterher.
- Auf einem Vorwind-Kurs besitzen Bordwind und Wahrer Wind wieder die gleiche Richtung.
Das bedeutet aber, daß der Bordwind auf den letzten Graden deutlich "aufholen"
muß, um das Nachhinken wieder wettzumachen.
Was hat das für Konsequenzen?
- Der Bordwind reagiert auf Am-Wind-Kursen relativ unempfindlich auf Kursänderungen. Eine
leichte Kursschwankung am Wind läßt den Bordwind wenig schwanken. Das macht diesen
ohnehin unkritischen Kurs noch unkritischer (unfreiwillige Wende wird unwahrscheinlicher).
-
Der Bordwind reagiert auf Vor-Wind-Kursen relativ empfindlich auf
Kursänderungen. Eine leichte Kursschwankung vor dem Wind läßt den Bordwind deutlich
schwanken. Das macht diesen ohnehin kritischen Kurs noch kritischer (unfreiwillige Halse
wird wahrscheinlicher). Der Verklicker gaukelt einem sozusagen vor, man hätte
noch 30° zum Abfallen bis vor den Wind, in Wirklichkeit sind es nur 20°! Wer hier 30°
abfällt, ist seine Halse schon gefahren! Meiner Ansicht nach ist das der eine
Grund, warum eine Halse für viele Menschen so problematisch ist.
- Der Effekt ist dann am stärksten, wenn der Fahrtwind relativ stark im Vergleich zum
Wahren Wind ist. Das ist z. B. bei wenig Wind der Fall. Jeder kennt diesen Effekt, daß
bei Schwachwind schon das Rollen des Schiffes ausreicht, um den Verklicker wild hin- und
hertanzen zu lassen. In weniger offensichtlicher Form gilt das aber auch bei höheren
Windstärken.
Wer das alles quantitativ studieren möchte, findet hier eine Excel-Tabelle
zum Herumspielen, mit hübschen Diagrammen (29 kB). Die zugrundeliegende Formel läßt
sich mit elementarer Geometrie ableiten: Der Einfachheit halber sei Nordwind, dann ist der
Kurs zum Wahren Wind gleich dem rechtweisenden Kurs k (kappa).
Der Einfallswinkel des Bordwindes zur Mittschiffsachse sei b
(beta):

Dann ergeben sich die Funktion b(k) und die Stärke des Bordwindes vbordwind als:

Man kann diese Effekte auch mit einem einfachen Werkzeug studieren: Ein Schiffsrumpf
aus einem Brettchen, eine Leiste, drei Schrauben und ein Gummiband ergeben einen
mechanischen Vektoraddiator. Das Längenverhältnis AB : BC sollte zwischen 1 : 3 und 1 :
2 liegen.
- BC -- Der Wahre Wind. Der Abstand BC entspricht der Windstärke des Wahren Windes, der
Winkel zum Schiffsrumpf ist sein Einfallswinkel.
- AB -- Der Fahrtwind. Der Abstand AB entspricht der Windstärke des Fahrtwindes, er kommt
immer von vorn.
- AC -- Der Bordwind. Die Länge des Gummibandes entspricht der Windstärke des
Bordwindes, der Winkel zum Schiffsrumpf ist sein Einfallswinkel.

ür eine
Halse setzt man ja nun nicht von vornherein mit dichtgeholtem Großsegel an, sondern in
aller Regel aus einem Raumschotskurs mit weit aufgefiertem Groß. Damit ist der
Segeldruckpunkt S weit in Lee, und diese Kraft außerhalb der
Mittschiffslinie läßt das Schiff leicht luvgierig werden. Für einen stabilen
Raumschotskurs benötigt man also etwas Leeruder, in Richtung Abfallen. So weit kein
Problem. Läßt man aber jetzt sein Großsegel für die Halse dichtholen, dann wandert der
Segeldruckpunkt S unweigerlich in Richtung Mittschiffslinie, die
Luvgierigkeit wird also reduziert bis aufgehoben. Wer nun seine Ruderstellung nicht
korrigiert, der beginnt bereits -- oft unbewußt -- mit "Rund achtern":

Der Effekt ist nicht dramatisch, soll heißen: Nicht besonders ausgeprägt. Wenn die
Halse eh zügig gefahren wird und die Rudergängerin wachsam ist, dann ist das völlig
unproblematisch. Wenn der Rudergänger das Manöver aber langsam angeht, wundert er sich,
wenn der Baum "plötzlich" übergeht, ohne daß er die Halse eingeleitet hat.
Diesen Fall habe ich schon so oft erlebt, daß ich nicht an Unaufmerksamkeit oder
Steuerfehler glaube: Bloße Untätigkeit führt hier schon zum Manöver.
Und das in einer Situation, wo der "Drehspielraum" ohnehin größer erscheint,
als er tatsächlich ist (siehe Punkt 1: Das Rätsel des Verklickers).
itten auf
dem Meer kann man die Wende irgendwie fahren, aber auf einer engen Kreuz (Fahrwasser o.
ä.) bedeutet jede verpatzte Wende einen immensen Höhenverlust. Der Trick besteht darin,
den vortriebslosen Moment so kurz wie möglich zu halten, bis das Vorsegel wieder
dichtgeholt ist. Das funktioniert nur, wenn der Großteil der Vorschot zügig von Hand
dichtgeholt werden kann. Und das geht wiederum nur, wenn der Rudergänger dafür sorgt. Es
ist immer wieder ein Bild des Jammers, wenn das Schiff auf einem Halbwindkurs endet, mit
einer weit ausgewehten Genua voll Wind, die schweißtreibend dichtgeholt wird, was bis zur
nächsten Wende kaum beendet ist ...
Eine Wende um ca. 100° kann man gedanklich in zwei Teile aufteilen: "Durch den Wind
gehen" und "Abfallen auf den neuen Kurs".
- Teil: Recht zügig, um nicht zuviel Fahrt zu verlieren und sicher durch den Wind zu
kommen. Von der Größenordnung her wird eine halbe Umdrehung am Ruder reichen. Gerade so weit durch den Wind gehen, bis das Vorsegel sicher
rüberkommt, d. h. bis das Schothorn am Mast oder ggfs. am Babystag vorbei
ist (Vorsegel nur in Ausnahmefällen back stehen lassen). Vorher zu klären: Der
Zeitpunkt des Loswerfens der alten Luvschot. Entweder entscheidet der
Winscher den Moment selbst, oder der Rudergänger gibt Kommando "Über
vorn", das erleichtert die Sache.
- Teil: Der Trick besteht darin, die Drehung zu beenden, sobald das Vorsegel sicher
durch den Wind ist. Für das Beenden der Drehung das Ruder langsam zurücknehmen
(z. B. erst mal eine Vierteldrehung), um den Winschern
Gelegenheit zu geben, das meiste der Vorschot von Hand dichtzuholen. Wenn das geschehen
ist, dann ist man in der Regel bereits auf den neuen Kurs abgefallen (also nicht weiter
abfallen, evtl. vorher Landmarke suchen). Ruder mittschiffs und den (kleinen)
Rest der Vorschot mit der Kurbel dichtwinschen.
Solange das Schothorn zwischen dem alten Luvwant und dem Mast oder Babystag
ist, darf die Schot nicht gewaltsam geholt werden, diesen Weg macht die Genua
alleine. Erst wenn das Schothorn am Mast oder Babystag vorbei ist, darf geholt
werden, und auch erst dann verlangsamt man die Drehung.
Das Zusammenspiel an den Winschen muß sehr gut koordiniert werden. Ideal sind
zwei Personen: Einer wirft die Schot auf der alten Luvseite los (Winsch ohne
Kurbel!) und steht klar bei Schot, um das Ausrauschen zu kontrollieren (keine
Kinken etc.). Auch die neue Luvwinsch muß zunächst ohne Kurbel sein! Der andere
holt von Hand kräftig dicht, dazu genau zwei Törns auf der Winsch (einer ist zu
wenig, drei zuviel). Nur solange ziehen, wie es sinnvoll ist. Sobald die Schot
das erste Mal unter der Windlast stockt, verliert man von Hand nur Zeit. Dann
auf vier Törns aufstocken und erst jetzt die Kurbel aufstecken und dichtholen
(dabei auf den Selftailer verzichten, geht schneller).
Klassische Probleme:
- Die alte Luvwinsch wurde mit zu wenigen Törns belegt und rutscht bereits
beim Lösen der Vorschot durch. Folge ist Fahrtverlust. Mindestens vier Törns
sind nötig plus große Aufmerksamkeit beim Bereitmachen.
- Auf der neuen Luvwinsch wird fälschlicherweise mit nur einem Törn von Hand dichtgeholt. Sobald Last auf
die Vorschot kommt, kann man das nicht halten, gefährdet seine Pfoten beim Auflegen
weiterer Törns und verliert bereits dichtgeholte Vorschot.
- Auf der neuen Luvwinsch wird fälschlicherweise mit drei Törns von Hand dichtgeholt. Viel zu viel Reibung,
man kommt nicht voran, muß weit mehr kurbeln als nötig und verliert Zeit.
- Das Auf- und Abwickeln der Törns ist sehr kritisch wegen der hohen Last auf der
Vorschot. Akute Amputationsgefahr! Die Vorschot immer strikt tangential zur Winsch unter
Zug halten, beim Aufwickeln wie beim Abwickeln. Das geht nur ohne Kurbel!
ei der
Halse erstaunt mich immer wieder, auf wie viele Arten eine klare Abfolge von
Manöverschritten durcheinandergebracht werden kann. Und ich sag immer wieder: Leute,
lernt das Schema auswendig. Macht aber keiner ... Scheint irgendwie nicht populär zu
sein. |
Eine sichere Halse führt von einem Raumschotskurs auf den anderen. Ggfs.
wechselt man bei viel Wind oder viel Welle erst von einem Vorwindkurs zurück auf
einen klaren Raumschotskurs, anstatt das Risiko einer Bruchhalse einzugehen.
Kommandofolge:
- Klar zur Halse? - Ist klar!
- Hol dicht Großschot! - Großschot ist dicht!
- Rund achtern!
- Fier auf Großschot! Stützruder!
- Über vorn!
- Neuer Kurs: ...! Holt dicht/fiert auf die Segel!
Klassische Probleme:
- Kein Kurshalten während und nach dem Dichtholen des Groß. Kurshalten bedeutet aktives Arbeiten am
Ruder, nicht Festhalten. Festhalten führt zur unfreiwilligen Halse nach Punkt 2
(Segeldruckpunkt und Luvgierigkeit).
- Durcheinanderbringen der Reihenfolge. Dadurch Unsicherheit und Verlangsamung des
Manövers, in der Regel mit der unter Punkt 2 erwähnten Folge.
- Zu spätes Fieren nach dem Umschlagen des Großsegels. Dadurch Anluven und Krängung.
Hier empfehle ich, die Großschotbedienung ganz in die Hand derjenigen zu
geben, die die Großschot bedienen, und nicht auf das Kommando des Rudergängers
zu warten. Das ist zwar gegen alle formalen (Prüfungs-)Regeln, dafür aber
praxisgerecht, denn eigentlich wissen die Leute an der Großschot am besten,
wann sie auffieren müssen. Der Rudergänger kann das Kommando mal weglassen,
und in 98 % aller Fälle hat er es vergessen und nicht bewusst nicht gegeben.
Die Großschot nach erfolger Halse dichtzuhalten, ist eine kritische Sache.
- Zu wenig Stützruder. Dadurch Anluven und Krängung.
- Vorsegel wird mitten im Manöver geschiftet, anstatt sich damit bis zuletzt
Zeit zu lassen.
ie beiden
Manöverbeschreibungen sind keine aufregenden Neuigkeiten, aber die beiden
herausgearbeiteten Punkte (Verklicker und Segeldruckpunkt/Leeruder) finde ich schon
erwähnenswert. Ich bin nach einiger Ausbildungserfahrung davon überzeugt, daß fehlendes
Wissen hierüber Anfängern, die das Gefühl noch nicht entwickelt haben, die Sache sehr
schwer macht. |